Bild: Arbeit und Leben NRW.

Obdachlos nach Obsternte auf deutschen Feldern

Eine Gruppe von Erntehelfenden rumänischer Herkunft kontaktierte Mitte Mai die Düsseldorfer Beratungsgestelle des Projektes „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ von Arbeit und Leben NRW DGB/VHS e.V.. Es handelte sich dabei um elf Saisonarbeitende, die inmitten der Covid 19-Pandemie für die Erdbeerernte auf einen Obsthof in der Nähe von Bonn eingeflogen worden waren. Die Beschäftigten klagten über Arbeitsausbeutung und fragwürdige Unterbringung und suchten deshalb die Beratungsstelle auf.

Dass auf sie harte Arbeit wartete, war den Erntehelfenden vorher bewusst, aber sie rechneten dafür im Gegenzug mit fairer Bezahlung und menschenwürdigen Wohnverhältnissen. Die Realität jedoch sah anders aus:

Ihre Arbeitsvereinbarung umfasste deutsche Muster-Arbeitsverträge mit einem Stundenlohn von sieben Euro und kostenfreier Unterkunft. Dass diese aber jeder Beschreibung spottete, stellten sie direkt bei der Ankunft fest: Ein paar Kilometer von den Feldern entfernt, „wohnten“ sie nun in improvisierten Räumen in einer Halle mit zehn Personen pro Raum. Insgesamt ca. 150 Menschen teilten sich vier Toiletten.

Menschunwürdige Unterbringung in mangelhaft sanierten Containern oder dürftige Verpflegung wie eine einzige einfache Mahlzeit am Tag, für die den Erntehelfenden jedoch fünf Euro berechnet werden, sind keine Seltenheit in dieser Branche. Schlechte Erfahrungen in Deutschland machen viele Beschäftige in dieser Branche, insbesondere diejenigen, die aus armen Gegenden Europas kommen. In der Saisonarbeit wird immer wieder getrickst, um den Mindestlohn zu unterlaufen. Dazu gehören Akkordzahlung oder der automatische Abzug von Wuchermietwerten und unzureichender Verpflegung vom Arbeitslohn.

Auch bei den besagten Saisonarbeitende aus Rumänien konnte man von einem Stundenlohn nicht mehr sprechen. Sie schilderten eine Art Akkordarbeit, bei der die Bezahlung nach der Anzahl der mit Obst gefüllten Kisten erfolgte – nur drei Euro je fünf Kilogramm.  Sie arbeiteten täglich, einschließlich sonntags, bis zu zehn Stunden. Darüber hinaus wurden ihnen ab dem ersten Tag ihre Ausweise und Arbeitsverträge abgenommen. Die Rückgabe wurde von der Unterzeichnung ihnen unverständlicher Dokumente abhängig gemacht – eine Praxis, die die Beschäftigten als erpresserisch empfanden.

Nach drei Wochen harter Arbeit erkundigten sich die Saisonarbeiterenden am 14. Mai schließlich nach ihrer Entlohnung. Daraufhin wurde ihnen sofort mündlich gekündigt und sie wurden ohne einen Cent oder Verpflegung buchstäblich auf die Straße gesetzt. Vier Tage irrten sie obdachlos zu Fuß bis nach Leverkusen bis sie über rumänischsprachige Social Media-Gruppen Hilfe und ein Dach über dem Kopf fanden.  

Durch die Vermittlung einer anderen Anlaufstelle konnten die Beraterin von Arbeit und Leben NRW und eine Gewerkschaftssekretärin von IGBAU Rheinland schließlich die Betroffenen erreichen und sie in ihrer Landessprache beraten und unterstützen. Dabei standen zunächst die Aufklärung über Arbeitsrechte und Hygiene- und Verhaltensregeln zur Vorbeugung von Infektionen im Fokus. Dann konnte in Zusammenarbeit mit der rumänischen Community und mit Fachstellen in Düsseldorf sowie mit Hilfe von Gewerkschaften eine Rückfahrt nach Rumänien für sie organisiert werden.

Auf Versuche, mit dem Arbeitgeber und dem Bauernverband in Kontakt zu treten, erfolgten keine Reaktionen. Schließlich wurde wegen möglicher Verstöße gegen Hygienevorschriften und den Infektionsschutz Anzeige erstattet. Die Beratung der rumänischen Saisonarbeitende wird nachhaltig fortgesetzt, damit zumindest die noch ausstehenden Löhne in Höhe von 1.000 Euro pro Person beglichen werden.

Bild: V.l.n.r. Mehriban Özdogan ( IGBAU NRW), rumänische Saisonarbeiter und Catalina Guia ( Arbeit und Leben NRW).