
Ausbeutung in der Landarbeit
27.07.2021
Die Beraterin Catalina Guia von „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ versuchte, zu den Beschäftigten Kontakt aufzunehmen. Die Kontaktaufnahme war jedoch dadurch erschwert, dass den Mitarbeitenden verboten war, mit Personen außerhalb des Betriebs zu sprechen. Schließlich gelang es „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ aber, mit den Beschäftigten ins Gespräch zu kommen und einen Überblick über ihre prekäre Lage zu bekommen.
Die Arbeiterinnen und Arbeiter waren in unterschiedlichen Unterkünften und somit in kleineren Gruppen untergebracht. Die Wohnsituation und die damit verbundenen nötigen Hygienemaßnahmen schienen nach Auffassung der Beratungsfachkräfte nicht gesetzkonform zu sein. Die Saisonarbeitenden berichtetem, dass sie eine Siebentagewoche arbeiteten und ihnen kein Ruhetag als Ausgleich gewährt wurde. Von einem Wochenendzuschlag für die Arbeit an Sams- und Sonntagen wäre überhaupt nicht die Rede.
Unregelmäßige Lohnzahlungen und Fehler bei den Sozialabgaben
Außerdem berichteten sie, dass die Lohnauszahlung nicht geregelt zum jeweiligen Monatsende, sondern erst zu Saisonende bei ihrer Abreise erfolgen sollte. In der Zwischenzeit erhielten sie auf Wunsch lediglich wöchentlich 50 Euro für Lebensmitteleinkäufe, bei Bedarf auch etwas mehr. Seit März dieses Jahres hätten manche Arbeiter allerdings gar keinen Lohn mehr erhalten. Die beschriebenen problematischen Zustände waren zuvor schon im Vorjahr bekannt geworden und in 2021 hatte sich die Situation offenbar nicht verbessert.
Aus diesen Gründen entschieden sich einige Mitarbeiter dafür, die Heimreise anzutreten. Diesen Arbeitern wurde Lohn – angeblich für Sozialbeiträge – vorenthalten. Hierbei fielen den Beratungsfachkräften wiederum weitere Unregelmäßigkeiten auf: Der Betrieb hatte unterschiedliche Arbeitsverträge mit seinen Mitarbeitenden abgeschlossen. Für diejenigen, die schon seit mehreren Jahren im Betrieb arbeiteten, gab es einen Arbeitsvertrag für Vollzeitbeschäftigung mit normalen Abzügen für Sozialabgaben. Allerdings stellten die Beratungsfachkräfte bei einer Anfrage an die Rentenversicherung fest, dass diese Abgaben für manche Angestellten schon seit Mai 2020 nicht mehr abgeführt wurden.
Ein anderer Teil der Saisonarbeitenden war im Rahmen einer kurzfristigen Beschäftigung tätig. In den Jahren 2020 und 2021 ist dies gesetzeskonform für maximal 102 Tage der Fall. Für eine kurzfristige Beschäftigung besteht keine Sozialversicherungspflicht und in der Regel muss auch keine Lohnsteuer bezahlt werden. Der landwirtschaftliche Betrieb zog laut Lohnabrechnung trotzdem fünf Prozent für Steuerbeträge und 22 Prozent für die Sozialversicherung vom Bruttolohn ab. Sollte sich diese Schilderung als korrekt herausstellen, steht der Verdacht des Sozialbetrugs im Raum.
Rechtliche Schritte und Prüfung durch Arbeitsschutz und Finanzkontrolle Schwarzarbeit
Die Beschäftigten nahmen das Angebot zur Hilfestellung und Beratung seitens der Beratungsstelle schließlich an. Drei Saisonarbeitende haben bereits eine Anzeige wegen Sozialbetrugs getätigt und eine Klage zur Lohnforderung erhoben. Leider hielten viele Mitarbeitende dieser Firma dem Druck nicht stand und sind mittlerweile zurück nach Rumänien gereist. Diese Saisonarbeitende haben einen ehemaligen Angestellten der Firma bevollmächtigt, sie bei der Lohnforderung zu unterstützen.
Die festgestellten Missstände führten auch dazu, dass der Arbeitsschutz den Betrieb kontrollierte. Auch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit wurde über den Vorgang informiert. Der Einsatz der Beratungsfachkräfte und der Mut der Beschäftigten haben dazu beigetragen, dass die Kontrollbehörden den Verstößen nachgehen, und ermöglichen es, das geltende Recht für die Beschäftigten durchsetzen können.
Der geschilderte Fall zeigt auch die große Bedeutung von betrieblichen Kontrollen. Die Arbeitsschutzverwaltung in Nordrhein-Westfalen überprüfte risikoorientiert in der Saison 2020 und 2021 eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Betrieben, in denen Saisonarbeitskräfte beschäftigt sind. Bei den Prüfungen wurden insbesondere die Unterbringungen und die Einhaltung der Hygienemaßnahmen nach der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung kontrolliert. Insgesamt zeigen die Kontrollen der landwirtschaftlichen Betriebe mit wenigen Ausnahmen ein positives Bild: Im überwiegenden Teil der Betriebe wurden nur geringe Mängel festgestellt. In den Betrieben, die Mängel aufweisen, wird die Einhaltung der geltenden rechtlichen Vorschriften und Verordnungen weiterhin überprüft.
Hier finden Sie Informationen zu Beratungsangeboten des landesweiten Netzwerks gegen Arbeitsausbeutung.