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Fleischwirtschaft: Kündigung statt Übernahme

Seit dem 1. Januar 2021 sind Werkverträge in weiten Teilen der Fleischindustrie verboten. Doch das Werkvertragsverbot hat nicht alle Probleme beseitigt.

Das Arbeitsschutzkontrollgesetz hat Beschäftigten in der Fleischindustrie und den Fachkräften in Beratungseinrichtungen große Hoffnungen gemacht: Das Verbot der Werkverträge im Kerngeschäftsbereich der deutschen Fleischwirtschaft sollte die Behandlung der Beschäftigten komplett verändern, vieles oder sogar alles besser machen. Dieser Fall aus der Beratungspraxis zeigt jedoch, dass das Gesetz nur der erste, wenn auch sehr wichtige, Schritt ist. Bis sich der Arbeitsalltag und die Arbeitskultur vollständig ändern, ist es aber noch ein langer Weg.

Die Arbeitnehmerin Frau S. aus Bulgarien wendete sich Anfang März an die Beratungsstelle „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“. Sie hatte seit Ende November 2020 in einem Fleischbetrieb gearbeitet. Zunächst war sie über einen Arbeitsvertrag bei einem Werkvertragsunternehmen beschäftigt. Durch die Änderungen des Arbeitsschutzkontrollgesetzes und das Werkvertragsverbot war sie anschließend seit Anfang Januar 2021 direkt beim Fleischbetrieb angestellt.

Frau S. wunderte sich, warum sie auch im März noch keine Kopie des neuen Arbeitsvertrages bekommen hatte. Erst am 1. März erhielt sie persönlich vor Ort im Büro des Fleischbetriebs ein Kündigungsschreiben, das auf den 11. Februar 2021 datiert war. Laut diesem wurde das Arbeitsverhältnis zum 27. Februar gekündigt. Außerdem wurde sie aufgefordert, ihre Unterkunft in Recklinghausen sofort zu verlassen. Dies tat Frau S. auch, weil sie enttäuscht war und nichts mehr mit ihrem nun ehemaligen Arbeitgeber zu tun haben wollte.

Anfang März wendete sie sich telefonisch an Berater Stanimir Mihaylov bei „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ (Arbeit und Leben DGB/VHS NRW) in Düsseldorf. Zu diesem Zeitpunkt war Frau S. schon bei Bekannten in Köln untergebracht. Die Ratsuchende wurde in der telefonischen Beratung über die einzelnen Handlungsschritte im außergerichtlichen Bereich in ihrem Fall aufgeklärt. Nach einer Rücksprache mit der Beratungsstelle Arbeit in Recklinghausen wurden auch arbeitnehmerfreundliche Anwälte genannt, die sie unterstützen könnten, wenn sie gegen diese Kündigung im Arbeitsgericht vorgehen würde.

Um Frau S. den langen Weg vor dem Arbeitsgericht zu ersparen, wollte Stanimir Mihaylov aber zuerst alle Möglichkeiten im außergerichtlichen Bereich ausschöpfen. Deshalb suchte er das Gespräch zur Personalabteilung des Fleischbetriebs. Bei diesem wurde klar, dass die Personalabteilung gar nicht über alle Einzelheiten des Falls informiert war. Der Fall konnte daher nicht direkt geklärt werden.

Als nächstes wendete Mihaylov sich an die zuständige Gewerkschaft NGG und den Betriebsrat. Er führte mehrere Telefonate mit diesen Parteien zum Fall der Arbeitnehmerin. Einige Monate zuvor hatte „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ mit der NGG und dem Betriebsrat bereits eine gemeinsame Aktion vor dem Werkstor durchgeführt, bei der mehrsprachige Flyer verteilt und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren Muttersprachen über ihre Rechte aufgeklärt wurden. Eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit im Fall von Frau S. war damit schon vorhanden.

Im Verlauf der Gespräche zeigte sich, dass die Kommunikation zwischen Beschäftigten und bestimmten Vorarbeiter/-innen oder der Personalabteilung im Betrieb gestört war. Dementsprechend kam es oft zu Missverständnissen bei den alltäglichen Aufgaben am Arbeitsplatz, der Weiterleitung von Informationen oder z.B. Krankschreibungen. Im Fall von Frau S. wurde deutlich, dass sie zwar eine Krankschreibung eingereicht hatte, in ihrer Zeitwirtschaft jedoch stand, dass sie in jenem Monat sehr viele Tage „unentschuldigt“ gefehlt hätte. Auch bei der Kündigung gab es eine Unregelmäßigkeit. In dieser stand nämlich, dass der Betriebsrat vor der Kündigung von Frau S. ordnungsgemäß angehört worden sei, was aber nicht stimmte.

Nach mehreren Telefonaten mit den Beteiligten konnte Mihaylov für Frau S. schließlich folgendes erreichen: Mit Hilfe des Betriebsrates wurde ein Auto zur Verfügung gestellt, mit dem die Ratsuchende aus Köln abgeholt wurde. Sie erhielt wieder ihr altes Zimmer in der Unterkunft in Recklinghausen. Die Kündigung wurde zurückgenommen und Frau S. konnte weiter im Betrieb arbeiten. Das Missverständnis der „unentschuldigten“ Fehltage wurde aufgeklärt und Frau S. hat ihre noch ausstehende Vergütung erhalten. Außerdem trat sie der Gewerkschaft NGG bei. Somit konnten der Berater und „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ den Fall im direkten Gespräch mit dem Fleischbetrieb ohne arbeitsrechtliche Schritte lösen und die Arbeitnehmerin bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen.