
Interview Sarah Bormann und Karl-Heinz Brandl, ver.di
"Fairness in der Plattformökonomie"
Ist Crowdwork ein vorübergehendes Phänomen oder ein wichtiges und nachhaltiges Thema für die Gewerkschaften? Karl-Heinz Brandl, Leiter des Bereichs „Innovation und Gute Arbeit“ bei der ver.di Bundesverwaltung, und Sarah Bormann, Mitarbeiterin im ver.di-Projekt Cloud & Crowd, sprechen über Details und Hintergründe der Plattformökonomie, die Abgrenzung zwischen Soloselbstständigen und Scheinselbstständigkeit, Beratungsangebote und Ihre Forderungen an die Politik.
Das Spektrum der Dienstleistungen, die über digitale Plattformen buchbar sind, wird immer größer. Es gibt unterschiedliche Geschäftsmodelle und Organisationsformen. Welche Bedeutung hat die Plattformökonomie für Sie als Dienstleistungsgewerkschaft?
Karl-Heinz Brandl: Wir differenzieren zwischen dem Einsatz von Plattformen an sich und Crowdwork als die Auslagerung von bezahlter Arbeit in der Regel an Selbstständige über Plattformen. Plattformen werden von vielen Unternehmen genutzt wie beispielsweise von Handelsbetrieben wie Amazon. Und auch in den Betrieben arbeiten Menschen auf Plattformen. Digitale Plattformen haben also erheblichen Einfluss auf die reale Arbeit der meisten Beschäftigten und deshalb für uns eine sehr große Bedeutung. Wir gehen derzeit von 100.000 bis 300.000 Menschen in Deutschland aus, die regelmäßig auf solchen Plattformen online arbeitet.
Welche Plattformtypen gibt es?
Sarah Bormann: Wir unterscheiden generell zwischen Plattformen, die – wie zum Beispiel Foodora oder helpling – analoge Arbeit ortsgebunden vermitteln, und Plattformen, auf denen die Arbeit komplett online stattfindet und mit einem digitalen Ergebnis endet. Für uns ist die Differenzierung zwischen Offline-und Online-Arbeit auf Plattformen wichtig für die Wahl unserer Strategie. Die Gefahr der sozialen Isolierung ist im Onlinesektor wesentlich größer als bei der ortsgebundenen Arbeit z. B. eines Foodora-Fahrers, der sich nicht am Rechner, sondern auf der Straße sieht.
Karl-Heinz Brandl: Ein sehr hoher Anteil der Crowdworker betreibt die Arbeit auf Online-Plattformen nur als Hinzuverdienst neben einer Festanstellung. Darunter sind viele Journalisten, Textarbeiter und IT-Experten, die von ihrem Nebenjob nicht leben müssen. An Soloselbstständigen, die ihre Online-Arbeit als Fulltimejob betreiben, bleiben nur wenige Tausend übrig. Diese Quote ist bei den ortsbezogenen, analog vermittelten Soloselbstständigen erheblich höher.
Sie haben in Kooperation mit der Uni München ver.di-Mitglieder befragt, die als Soloselbstständige auf Online-Plattformen arbeiten. Was sind die zentralen Ergebnisse?
Sarah Bormann: Nahezu alle Befragten sind mit ihrer Bezahlung unzufrieden. Auf den Online-Plattformen herrscht ein harter Preiskampf. Viele Crowdworker fühlen sich ungerecht behandelt. Als Vorteile betrachten sie hingegen den einfachen Zugang zur Arbeit. Jene, die eher anspruchsvolle, komplexe Tätigkeiten ausüben, bewerten es zudem als positiv, dass sie über die Online-Plattformen direkte Kontakte zu neuer Kundschaft knüpfen und ihr Portfolio weiter entwickeln können.
Wo sehen Sie als Gewerkschaft beim Crowdworking den größten Regulierungsbedarf?
Sarah Bormann: Für Crowdworker gilt zunächst einmal dasselbe wie für andere Soloselbstständige: Neben der Bezahlung ist die soziale Absicherung das bestimmende Thema. Dabei müssen auch die Plattformen in die Finanzierung miteinbezogen werden. Viele Menschen kombinieren unterschiedliche Einkommensmodelle und switchen zwischen einem Angestelltenverhältnis und der Selbstständigkeit hin und her. Eine durchgängige allgemeine Erwerbstätigenversicherung wäre ein großer Fortschritt. Wir fordern mit Nachdruck branchenbezogene Mindesthonorare, die für Plattformen wegen des überhitzten Wettbewerbs besonders wichtig sind. Wir sehen das Mindesthonorar aber nicht als Pendant zum allgemeinen Mindestlohn. Das Mindesthonorar muss auf die jeweilige Branche zugeschnitten und sinnvoll anwendbar sein.
Karl-Heinz Brandl: Wir fordern von der Politik auch die öffentliche Überprüfung der oft fehlerhaften allgemeinen Geschäftsbedingungen und die Beweislastumkehr bei der Ermittlung von Scheinselbstständigkeit. Die Plattformen und nicht die Soloselbstständigen müssen beweisen, dass keine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Zudem fordern wir eine Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung für Soloselbstständige über das Betriebsverfassungsgesetz.
Gibt es Plattformen, die von sich aus ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden und entsprechende Regelungen treffen?
Karl-Heinz Brandl: Einige wenige (8 von 32) Plattformen im Online-Bereich haben mit einem „Code of Conduct“ eine Selbsterklärung abgegeben und darin Mindeststandards festgesetzt. Es gibt auch vereinzelt Plattformen, die Crowdworkern Rechtssicherheit beim Abschluss von Verträgen und eine Altersabsicherung ermöglichen (z. B. jovoto). Diese Fortschritte haben aber noch nicht zu ernsthaften Vertragsgesprächen mit Gewerkschaften geführt.
Welche Erfahrungen hat ver.di mit seinen rund 30.000 Soloselbstständigen gemacht und welche Ziele haben Sie mit Blick auf die Crowdworker?
Karl-Heinz Brandl: Wir bieten Soloselbstständigen neben Rechtsschutz eine professionelle Beratung, die viele wichtige Fragen umfasst: Was muss ich beachten, wenn ich in die Selbstständigkeit gehe? Wie kann ich mich sozial absichern? Wie muss ich die AGB schreiben? Wie erstelle ich ein Angebot? Wie setze ich einen Honorarvertrag auf? Über unsere Plattform „selbststaendigen.info“ vergleichen wir Honorare für die einzelnen Berufsgruppen. Das hilft den Soloselbstständigen bei Verhandlungen, nicht ausgenutzt zu werden. Wir bieten eine spezifische Beratungsleistung für Crowdworker an und setzen uns in Gesprächen mit Plattformen, Unternehmen sowie mit der Politik für eine Verbesserung ihrer Bedingungen ein.
Das ausführliche Interview, erschienen im G.I.B.-Info 1_18 finden Sie hier.